Prozessbeschreibungen und das deutsche Steuerrecht

Früher war alles besser. Wer kennt nicht diese Redewendung und oft wird sie benutzt, wenn immer mehr Prozesse und Reglementierungen uns die Freude an der Arbeit nehmen. Doch kann man heute überhaupt noch arbeiten ohne im Prozessdschungel zu ersticken? Und warum wird es immer schlimmer?

Was haben Prozessbeschreibungen und das deutsche Steuerrecht gemeinsam?

Die Schaumweinsteuer wurde 1902 vom Reichstag zur Finanzierung der kaiserlichen Kriegsflotte eingeführt. Was als vorübergehende Steuer gedacht war, ist heute noch in Kraft. Beispiele wie diese gibt es viele. Auch an den Solidaritätszuschlag hat sich der Staat gewöhnt und kann nur ungern davon abrücken. So steht dieser zumindest einmal bis zum Jahr 2030 weiter an. Das Prinzip ist also denkbar einfach. Was man hat, das hat man!

Was hat das mit Prozessbeschreibungen zu tun? Prozessbeschreibungen sind im Grunde ähnlich zu Gesetzen. Prozesse sind dokumentiert, einzusehen (eventuell sogar geschult) und von den betroffenen Personen einzuhalten. Die Prozesse werden ständig verbessert und das bedeutet leider in den meisten Fällen, dass Prozesse immer umfangreicher werden. Ganz nach dem Muster: Was man hat, das hat man und dann eben noch ein bisschen mehr davon.

Woher kommt das alles?

Dokumentierte Prozesse helfen uns komplexe Projekte beherrschbar zu machen. Prozesse beschreiben einen effektiven Weg zur Lösung. Daher ist es wichtig und sinnvoll gute Prozesse zu haben und zu befolgen. Schaue ich mir den regulierten Markt der Medizintechnik an, so gibt es verschiedene Ursachen dafür, dass Prozesse mehr werden. Ständig neue Standards und Vorschriften müssen durch die Unternehmen abgedeckt werden. Der Normen-Newsletter bringt zutage, was es Neues gibt und das will natürlich beachtet werden. Die Normen fließen dann in die Unternehmensprozesse ein, was natürlich meist zu mehr Papier führt. Dann gibt es die internen und externen Audits. Jeder Auditor findet natürlich etwas. Wozu wäre er sonst da gewesen? Und so kommt eins zum anderen und die Prozessdokumentation wächst. Widerspruch bei den Audits ist selten. In einer Art Prüfungssituation durch eine benannte Stelle, einen Kunden oder im schlimmsten Fall die FDA (amerikanische Behörde für Lebens- und Arzneimittel) ist es nicht opportun Widerstand zu leisten. Bei Audits gibt es dann noch den Fall, dass es größere Audit Findings gibt. Diese können mitunter mittelschwere bis schwere Erdbeben im Unternehmen auslösen. Es werden Taskforces gebildet, um den Findings an den Leib zu rücken. Dabei passiert es, dass man über das Ziel hinausschießt und Prozesse erschafft, die unmöglich noch einmal von jemanden zu bemängeln sind. Generell gibt es die Sorge, dass Fehler passieren und etwas schiefläuft. Insbesondere bei großen Unternehmen mit komplexen Strukturen führt das dazu, dass alles in Prozesse gegossen wird. Damit soll verhindert werden, dass jemand etwas selbst entscheidet und ihm dabei ein Fehler unterläuft. So gibt es Prozesse, wie man Waren aus einem Hochschrank holt, wenn eine Leiter zu verwenden ist.

Wo liegen die Probleme mit den Prozessbeschreibungen?

Mehr muss nicht immer besser sein. Je mehr Prozesse es

Immer mehr Prozessbeschreibungen

gibt, desto mehr müssen diese geschult und beachtet werden. Das kann dazu führen, dass die Ausführung der Arbeit deutlich länger dauert. Man kann eine Organisation regelrecht damit lähmen. Die Ersteller der Prozessdokumentation sind aus meiner leidvollen Erfahrung oft keine guten Schreiber. Das führt dazu, dass lange Textpassagen mit unverständlichen, widersprüchlichen und einfach langweiligen Texten entstehen. Diese werden dann selbstverständlich nicht (gerne) gelesen. Das neue Prozesse zu schulen sind, hat sich nicht überall herumgesprochen. Mitunter fällt das den Schreibern schwer, da sie den Prozess beschrieben haben, sich im Detaill aber nicht damit auskennen. Dann reicht eine kurze Mail mit dem Hinweis auf eine Selbstschulung. Da kommt dann kaum eine Nachfrage. Wen wundert das? Die Erstellung der Prozessdokumentation ist lästig und dann ist man froh, wenn der Prozess freigegeben ist. Wer denkt da gerne noch daran, diesen Prozess zu schulen?

Ihr Ansprechpartner:

Dipl.-Ing. Goran Madzar, Gesellschafter, Senior Systems Engineer 
E-Mail: madzar@medtech-ingenieur.de
Tel.:  +49 9131 691 240
 

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Aus meiner Erfahrung gibt es eine immer größere Diskrepanz zwischen Prozessbeschreibungen und dem was in Projekten gelebt wird. Und diese Diskrepanz führt wiederum zu neuem Ärger in Audits und damit zu noch mehr Prozessen. Man kann fast von einem Teufelskreis sprechen.

Was sollte man beachten?

Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass ich mich gegen Prozesse ausspreche. Ganz im Gegenteil. Ich bin ein großer Fan davon. Dabei sind ein paar Punkte zu beachten.

  • Mehr ist nicht besser. Lean ist in aller Munde, doch wo sehe ich das bei den Prozessen? Regelmäßiges Aufräumen und Ausmisten ist angesagt.

Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn es nichts mehr hinzuzufügen gibt, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann.“ – Antoine de Saint-Exupéry, Terre des Hommes

  • Bei der Erstellung der Prozessdokumentation sind Anwender und Qualitäter einzubeziehen. Nur durch diese Balance wird sichergestellt, dass Prozessbeschreibungen praxistauglich sind.
  • Werden neue Prozesse eingeführt, muss eine Impact-Analyse durchgeführt werden. Welche Auswirkungen hat die Einführung oder Änderung von Prozessen? Die sich daraus ergebenden Auswirkungen sind einzuplanen und anzugehen.
  • Beim Schreiben an die Leser denken. Gut formatiert, angenehm zu lesen und nicht zu lang. Investieren Sie ein bisschen Zeit und überlegen Sie sich, wie Sie ihre Botschaften am besten präsentieren.
  • Schulen Sie die Mitarbeiter persönlich. Geben Sie den Mitarbeitern Gelegenheit Rückfragen zu stellen oder Kritik zu äußern. Stellen Sie sich den kniffligen Fragestellungen der Anwender.
  • Schießen Sie nicht über das Ziel hinaus. Formulierungen wie „Prozesschritt A muss abgeschlossen werden, bevor Prozessschritt B begonnen werden darf“ sind mit Vorsicht zu genießen. Wo kommt diese Anforderung her? Oftmals ist eine so strenge Definition gar nicht gefordert und sinnvoll.
  • Dokumentieren Sie die Quelle der Anforderungen. Das macht es einfacher beim Tailoring (bewussten Weglassen) besser verstehen zu können, woher diese Anforderung kommt.
  • Arbeiten Sie mit einfachen Prozessdiagrammen, die schneller zu verstehen sind als eine lange Textbeschreibung. Gewöhnen Sie sich einen einheitlichen Stil für die Dokumentation von Prozessbeschreibungen an.

Wer es geschafft hat bis hierhin zu lesen, ist mit Sicherheit qualifiziert, Prozessbeschreibungen im Unternehmen zu lesen. Herzlichen Glückwunsch dazu!

Was Prozesse und Vorschriften angeht, sind die Beamten in Deutschland selbstverständlich immer noch das Maß der Dinge und daher möchte ich heute mit ein paar lustigen Zitaten aus der Welt der Beamten-Vorschriften enden.

Stirbt ein Bediensteter während einer Dienstreise, so ist die Dienstreise beendet.

Besteht ein Personalrat aus einer Person, erübrigt sich die Trennung nach Geschlechtern.

Ehefrauen, die ihren Mann erschießen, haben nach einer Entscheidung des BSG keinen Anspruch auf Witwenrente.

Der Tod stellt aus versorgungsrechtlicher Sicht die stärkste Form der Dienstunfähigkeit dar.

Welches Kind erstes, zweites, drittes Kind usw. ist, richtet sich nach dem Alter des Kindes.

Es ist nicht möglich, den Tod eines Steuerpflichtigen als dauernde Berufsunfähigkeit im Sinne von §16 Abs. 1 Satz 3 EStG zu werten und demgemäß den erhöhten Freibetrag abzuziehen.

In diesem Sinne.

Viele Grüße
Goran Madzar

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Autor

  • Goran Madzar

    MEDtech Ingenieur aus Leidenschaft! Mein Team und ich helfen Medizintechnik-Herstellern mit Engineering-Dienstleistungen dabei, Produkte zu entwickeln und in Verkehr zu bringen! Sprechen sie mich gerne an, ob bei LinkedIn oder per Mail. Ich freue mich Sie kennenzulernen.

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